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Reisen durch die ehemalige DDR (Teil 3) von Holger Raschke

Neben uns plätschert die Schwarze Elster gemächlich dahin, als wir auf unserer Reise durch die ehemalige DDR in Hoyerswerda einfahren. An einer Kreuzung im Stadtzentrum dann die alles entscheidende Frage: Nach links abbiegen, in das historische Hoyerswerda oder nach rechts abbiegen, in die Neustadt? Um es vorwegzunehmen, die pittoresken Bürgerhäuser der kleinen Altstadt oder das Schloss im Zoo haben wir nicht gesehen. Uns interessierte die Neustadt.

HoyWoy empfängt uns mit viel DDR-Architektur

Hoyerswerda wurde zu einem urbanen Zentrum im damaligen DDR-Energiebezirk Cottbus ausgebaut. Nördlich der Stadt ist ab den 1950er Jahren das gigantische Gaskombinat „Schwarze Pumpe“ aus dem Boden gestampft worden, in dem viel Braunkohle lagert. Die Braunkohle war in der DDR der Energieträger Nummer 1, versorgte das gesamte Land mit Strom und Wärme – aber auch mit Kohlenstaub, Atemwegserkrankungen und Umsiedlungen.

Zeitgleich wurde östlich der Kleinstadt Hoyerswerda eine dazugehörige Arbeiterstadt als sozialistische Neustadt mit zehn Wohnkomplexen geplant. Die Einwohnerzahl der einstigen Ackerbürgerstadt stieg in der Folge von knapp 7.000 auf über 70.000 an.

Neue Städte für neue Menschen – so auch hier die Devise

Wie ähnliche Projekte in Eisenhüttenstadt, Schwedt oder Halle-Neustadt, zogen solche Orte junge, oftmals gut ausgebildete Familien aus der ganzen Republik an.

Musikalisch verewigt wurde Hoywoy durch einen ihrer bekanntesten Söhne: den Liedermacher und Baggerfahrer Gerhard „Gundi“ Gundermann – Gesicht und Stimme des Lausitzer Braunkohlereviers. Hoywoy war eine junge, moderne und aufstrebende Stadt.

Und heute?

Kurz nachdem wir unser Vehikel geparkt hatten, eilt ein aufgeregter Mann auf dem Fahrrad herbei, um uns persönlich zu begrüßen. Er hat uns an der Ampel gesehen, anhand des Kennzeichens als Besucher erkannt und ist uns hinterhergefahren, um uns Prospekte über das Lausitzer Seenland in die Hand zu drücken und Empfehlungen auszusprechen. Das sei Teil der hiesigen Tourismusstrategie, wie er uns erklärt. Und da er selbst im Tourismus tätig ist, schritt er zur Tat. Er war dann etwas überrascht ob unserer Interessen. Zufrieden gestimmt, dass wir selbstverständlich auch das Wegenetz rund um die gefluteten Tagebaulöcher erradeln würden, entließ er uns dann zur Stadterkundung.

Mit dem Fahrrad ging es sodann durch’s Zentrum von Hoywoy-Neustadt, vorbei am Zuse-Computermuseum, wo man in die Geschichte der Computertechnik eintauchen kann. Denn Computer-Pionier Konrad Zuse war in jungen Jahren ein Einwohner dieser Stadt, also des alten Hoyerswerda. 

Eintauchen in die Geschichte des Computers – im ZCOM in Hoywoy

Schon hier im Zentrum fallen uns Brachflächen auf, die nach dem Rückbau von Plattenbauten übrig geblieben sind. Am Stadtrand, vor allem im Norden sind ganz Stadtviertel zurückgebaut worden. Die heute noch stehenden Blöcke in den Wohnkomplexen sind zwar häufig saniert. Dennoch wirken die Quartiere teilweise trostlos, da die vielen Grünanlagen und die zu DDR-Zeiten in den Vierteln aufgestellte Kunst – einst Ausdruck der hohen Lebensqualität – nun oftmals ungepflegt sind. Man kann sich gut vorstellen, dass die zahlreichen älteren Einwohner noch ein gänzlich anderes Bild ihrer Stadt im Kopf haben.

Andere verbinden mit Hoyerswerda ein schlimmes Ereignis der Wendezeit.

Traurige Berühmtheit erlangte der Ort damals durch massive und mehrtägige rassistische Ausschreitungen im Jahr 1991, die erst endeten, als die Betroffenen Vertragsarbeiter und Geflüchteten evakuiert wurden. Der rechte Mob hatte gewonnen – so die verheerende Botschaft, die ins Land hinausgesendet wurde.

Heute leben in Hoywoy 32.000 Einwohner, Tendenz weiter fallend, sodass die Stadt bereits mehr als die Hälfte ihrer Einwohner verloren hat.

Stadtrückbau Ost – dieser einst gigantische Block wurde bereits ordentlich gekürzt

Schrumpfungsmanagement wird hier auch in Zukunft die Agenda bestimmen. Dieser Realität sollten sich vor allem die Menschen bewusst werden, die in den pulsierenden Zentren unseres Landes wohnen. Inwiefern die Milliarden für den Strukturwandel infolge des Kohleausstiegs zu den „Zukunftsregionen“ führen, wird sich zeigen. Dass viele Menschen in der Region skeptisch und frustriert sind, zeigen leider die großen Wahlerfolge einer Partei, die keine Alternative sein sollte.

Das hiesige Zentrum um den den Lausitzplatz wird vom ehemaligen Centrum-Warenhaus, das auch hier noch über die typische, futuristische Wabenfassade verfügt, und von der Lausitzhalle dominiert.

Früher Haus der Berg- und Energiearbeiter, seit 1992 Lausitzhalle

Das ehemalige Kulturhaus der Berg- und Energiearbeiter weiß mit einem faszinierenden zeitgenössischen Mosaik von Fritz Eisel aus den 80er Jahren zu überzeugen. Abgebildet sind typische Szenen des sozialistischen Realismus: Industrieromantik, der Sieg der Technik über die Natur und glückliche Menschen. Was für eine Tragik diesem Motiv doch innewohnt. Als Potsdamer bin ich mit den Motiven von Fritz Eisel jedenfalls bestens vertraut, denn unsere Magistrale schmückt „Der Mensch bezwingt den Kosmos“

Industrieromantik pur – Fritz Eisel-Mosaik an der Lausitzhalle

Die unendlichen Weiten des Kosmos sind auch noch in Hoywoy präsent…

… zumindest in Form von Straßennamen und eines Planetariums. Im südlichen Teil der Neustadt finden wir die Sputnikstraße, die Tereschkowastraße und die Juri-Gagarin-Straße. Das Planetarium wurde Ende der 1960er Jahre von hunderten Bürgern in 24.000 (Vierundzwanzigtausend!) Aufbaustunden freiwillig und ohne Bezahlung errichtet. 

Den Abend verbringen wir dann vor den Toren der Stadt am Scheibe-See, eines der vielen Tagebaulöcher, die geflutet wurden und nun als Naherholungsziel dienen. Wie versprochen bemühen wir auch hier die Räder, um die Landschaft zu erkunden und das Radwegenetz für ausgezeichnet zu befinden.

Mittlerweile wieder ganz idyllisch – der Scheibesee

Krass ist für uns die Vorstellung, wie sich die Landschaft hier im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrfach fundamental gewandelt hat.

Am nächsten Tag geht es tiefer in das Herz des Braunkohlereviers Lausitz rein.

Wir fahren durch den riesigen Industriepark „Schwarze Pumpe“. Obwohl hier nur noch Teile im Betrieb sind – die Dimensionen des einstigen VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe sind noch heute gewaltig. Mitten durch den Industriepark verläuft heute die Grenze zwischen dem Land Brandenburg und dem Freistaat Sachsen. Die Bewohner von Hoyerswerda konnten sich nach der Wende entscheiden, ob sie nach Brandenburg oder Sachsen wollen. Sie haben sich für Sachsen entschieden. Das Braunkohle-Kraftwerk ist die sichtbarste Landmarke – und zugleich eines der umstrittenen Symbole der Region als Braunkohlerevier.

In Zeiten des Klimawandels sind die Tage der Braunkohle gezählt. Das Kraftwerk soll 2038 vom Netz gehen. Viele Menschen wollen einen viel schnelleren Kohleausstieg und die Proteste von „Ende Gelände“ haben die Lausitz in den vergangenen Jahren immer wieder in die Schlagzeilen verholfen.

Nächste Station auf unserem Roadtrip ist dann folgerichtig der aktive Tagebau Welzow-Süd…

… denn die Mondlanschaften wollen wir mit eigenen Augen sehen. Am nördlichen Tagebaurand steht mit der Steinitzer Treppe quasi eine „Himmelstreppe“ im Wald, die einen ersten Blick auf die offene Landschaftswunde ermöglicht.

Alleine für den Tagebau Weltzow-Süd wurden 17 Dörfer weggebaggert. Um einen noch eindrucksvolleren Blick zu erhaschen, fahren wir nach Geisendorf, an den Nordwestrand des Tagebaus.

Nicht gerade Postkartenidylle. Der Tagebau Welzow-Süd

Hier steht das Gutshaus Geisendorf unmittelbar am Rand des Tagebaulochs. Man kann auf bis zu 9 Kilometer in die Mondlandschaft blicken. Am Horizont zeichnet sich die Silhouette des Kraftwerkes Schwarze Pumpe ab.

Mondlandschaft in der Lausitz – im Hintergrund das Kraftwerk Schwarze Pumpe

Die riesige Fördertechnik wirkt winzig klein in diesem Panorama. Dass dieser Eindruck trügt, wird deutlich, als wir auf unserer Reise einen stillgelegten Förderbagger finden und das Stahlmonster aus der Nähe inspizieren.

Dieses Schaufelrad wühlt sich schon lange nicht mehr durch den Boden

Am westlichen Stadtrand von Senftenberg, direkt an der B96, kommen wir am administrativen Herz des ehemaligen Braunkohlenkombinates Senftenberg vorbei. Bei Freunden der ostmodernen Architektur dürfte der Puls hier schneller schlagen, denn der Verwaltungsbau befindet sich mit seinen Waschbetonplatten, Fassadenkacheln und Kunst am Bau fast im Originalzustand. 

Headquarter des ehemaligen Braunkohlenkombinates Senftenberg

Anders als in Welzow sind hier die sichtbarsten Narben der Braunkohle bereits geheilt.

Direkt an die Stadt grenzt nun der Senftenberger See. Eine Promenade lädt zum Flanieren ein. Wassersport und Radtourismus sind heute die Hoffnungsträger in der Region. Und Senftenberg ist schon mal so etwas wie das Zentrum des Lausitzer Seenlands, nach eigener Aussage immerhin die größte künstlich geschaffene Wasserlandschaft Europas.

Als wir dann durch Lauchhammer fahren, sind wir in der Stadt, die mit ihren (Achtung, schlechtes Wortspiel) „Ergüssen“ im ganzen Land präsent ist. Denn aus der Stadt stammen unzählige Glocken, Büsten, Bronzeplastiken und Denkmäler. Wer tiefer in diese Materie eintauchen mag, kann dem Kunstgussmuseum einen Besuch abstatten.

Spektakuläre Industriearchitektur – die Biotürme in Lauchhammer

Wir stoppen dann noch mal an den Biotürmen in einem Vorort von Lauchhammer, eine irgendwie sonderbare Szenerie. Einst waren sie Teil einer riesigen Kokerei. Dort konnte aus Braunkohle erstmals Koks gewonnen werden, das für den Aufbau der Schwerindustrie in der DDR so bedeutend war. In den Türmen wurden mithilfe von Bakterien die Abwässer gereinigt. Nun sind sie die letzten Relikte sowie ein beliebtes Fotomotiv und populärer Veranstaltungsort.  

Man kann sich kaum entscheiden – Mittelalter oder Science Fiction

Für die letzte Übernachtung haben wir uns dann ein echtes Highlight rausgesucht…

… und zwar das Besucherbergwerk F60. Hier steht man zwischen der gigantischen, 80 Meter hohen und 500 Meter langen Förderbrücke und dem Bergheider See, einem weiteren gefluteten ehemaligen Tagebau. Diese beeindruckende Kulisse wird auch als Festivalgelände genutzt. Die herumstehenden Bühnen und kreativen Objekte lassen das „Feel Festival“ schon mal ganz sympathisch erscheinen. 

Besucherbergwerk F60 und Festival-Deko

Der letzte Abend lässt uns irgendwie grübelnd zurück. Ob wir jetzt mehr Antworten oder Fragen von unserer Reise durch die ehemalige DDR mit nach Hause nehmen, kann ich gar nicht so genau sagen. Unsere Reise führte uns durch weitgehend deindustrialisierte Regionen. Viele Menschen haben ihre Arbeit und somit einen Lebensanker verloren. Auf der anderen Seite atmet man heute meistens wieder frische Luft und die Umwelt scheint sich vielerorts erholt zu haben. Während die Altstädte nun nicht mehr grau, sondern saniert sind, versprühen manche Städte und Viertel eher Tristesse als blühendes Leben.  

Hier hat es sich schon ausgebaggert – stillgelegter Förderbagger

In der Lausitz beklagen die Einen, dass eine Region ihrer Identität beraubt wird. Die Anderen sind froh, dass ihre Dörfer doch nicht abgebaggert werden. Und zur persönlichen und regionalen Perspektive kommen noch gesellschaftliche Herausforderungen wie demografischer Wandel und globale Probleme wie der Klimawandel. Die Widersprüche lassen sich nicht so leicht auflösen – dafür sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu komplex.

Deshalb macht euch ein eigenes Bild und fahrt bewusst auch mal in die Regionen und Städte, die vielleicht nicht immer regelmäßig in den Top 10 der deutschen Reiseregionen und Städtedestinationen landen. Es lohnt sich! Nicht nur für DDR-Interessierte.


Reisen durch die ehemalige DDR
Teil 1– Teil 2 – Teil 4

Autor: Holger Raschke (geb. 1982, Potsdam) – Gründer von BERLINS TAIGA Touren und Stadtführungen in Berlin, Potsdam und Umland

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